Unsere Kabine erweist sich als gute Wahl. Denn im Liegen lässt sich das manchmal doch recht heftige Schaukeln ganz gut aushalten. Im besten Fall ist es so, als würde man in den Schlaf gewiegt, im schlimmsten Fall ist es wie kurz nach einer Fahrt mit dem Breakdancer auf der Kirmes. Ganz so erholsam, wie ich mir die Nacht vorgestellt habe, ist sie dann leider nicht. Aber ich bin, was Seekrankheit angeht, auf einer Skala von 1-10 auch eher auf der Mimosenseite zu finden…
Breakfast mit Unterhaltungswert
Um 7.30 Uhr öffnet der Breakfast Club seine Pforten. Und wer meint, dass sich so früh nur ein paar verstrahlte Gestalten einfinden, wird schnell eines besseren belehrt. Es füllt sich zusehends. Und als Punkt halb Acht die heiligen Hallen geöffnet werden, schwankt eine an die White Walker von Game of Thrones erinnernde Masse von Frühstückszombies zum Essen.
Und wir haben Glück, dass wir dazu gehören. Denn so kriegen wir noch einen Top-Deluxe-Platz am Fenster und müssen uns nicht in die langen Schlangen einreihen, die sich bald darauf am Buffet bilden. Wo kommen all die Leute her?
Ein junger Kellner kommt elegant mit einem Tablett frisch gepresstem O-Saft zu mir. Und da die Kaffeekannen zuvor auch an die Tische gebracht wurden, greife ich gerne zu. Ach, die kosten dann extra? Gutes Geschäftsmodell… Ist mir aber egal, denn ich brauche nach dieser Nacht nicht nur Koffein, sondern gerne auch ein paar Vitamine!
Beim Frühstück können wir dann schöne Charakterstudien betreiben. Unser Favorit: das Mittdreißigerpärchen, dass sich abwechselnd liebevoll mit seinem hinreißenden Baby beschäftigt. Aber auch die grimmig dreinschauenden, asketischen Senioren in ihrem neonfarbenen Radfahroutfit sind spannend. Und ein echtes Gesamtkunstwerk ist der ältere, grauhaarige Mann mit Mahatma-Ghandi-Brille, Konfuziusbart, Strickkippa und Kreuzkettchen. Mehr Spiritualität geht echt nicht!
Alle Mann von Bord
Bei stürmischem Regen (oder regnerischem Sturm?) kommen wir in Newcastle an. Und trotzdem ist uns das Wetter zunächst mal herzlich egal. Wir sind da!
Und nach einer erstaunlich kurzen (aber für EU-Verhältnisse trotzdem gründlichen) Grenzkontrolle verabschiedet sich der Grenzbeamte mit einem deutschen „Vielen Dank!“ und wir stürzen uns in den Linksverkehr. Und das klappt erstaunlich gut, da man mit jeder Meile, wie in einem Tutorial, an Kreisverkehre und mehrspuriges Fahren herangeführt wird. Und in Newcastle ist dann richtig was los. Aber hier mache ich auch erste Bekanntschaft mit der Höflichkeit der Engländer. Als ich mich an einer Stelle falsch eingeordnet habe und die Spur wechseln muss, hält man sofort Abstand, als ich blinke und lässt mich die Spur wechseln. Klasse!
Durch Northumberland
Bald hinter Newcastle wird es einsam. Auf der A696 herrscht angenehm wenig Verkehr, so dass wir entspannt hinter einem LKW hinterherdümpeln können. Die Landschaft wird karger, mooriger und es tauchen die ersten Schafe und gelben Ginstersträucher auf. Und da zu dieser Landschaft ein trüber Nieselregen eigentlich ganz gut passt, sind wir gar nicht mal so enttäuscht, dass das Wetter zu Beginn unserer Reise nicht so gut ist.
Kurz vor der „Border“ machen wir im Northumberland National Park Station im Kielder Forest. Anscheinend ein Gebiet wo trotz Nationalparks Forstwirtschaft betrieben wird. Wir beschließen, uns erst mal die Beine zu vertreten und auch den Hunden ein bisschen Auslauf zu verschaffen. Außer uns ist nur der Förster unterwegs. Und so können wir in aller Ruhe am dahinplätschernden Bach entlang spazieren und langsam realisieren, dass wir wirklich angekommen sind.
Regen-Abbey
Nach wenigen Meilen haben wir die schottische Grenze erreicht. Und das obligatorische Foto vor dem „Welcome to Scotland“-Schild macht vor uns schon ein Auktionator indem er die komplette Spur blockiert. Der weiß, wie‘s geht!
Wir fahren weiter bis Jedburgh, um die dortige Abbey zu besichtigen. Damit man das darf, lohnt es sich, vor allem aus psychologischer Sicht, eine Jahresmitgliedschaft für Historic Scotland zu erwerben. Kostet für 2 Erwachsene zusammen 101£. Hiermit kann man dann jede Sehenswürdigkeit besuchen, die zum Portfolio gehört. Und der psychologische Vorteil ist, dass man ab sofort gar nicht mehr drüber nachdenkt, ob man etwas besichtigen will oder nicht. Man macht es einfach. Ob es sich am Ende für uns finanziell gerechnet hat, werde ich nachreichen.
Im Gespräch erklärt uns die freundliche Kassiererin dass wir zusätzlich noch 20% Rabatt in den Shops erhalten (praktisch! Dann ist der angegebene Pfund-Preis quasi der Euro-Preis) und dass in Schottland wirklich jedes -burgh so wie bei Edinburgh ausgesprochen wird: Also Jed-boro. Oder mit schottischem Akzent gerne auch direkt Jed-bra.
Natürlich kriegen wir als Members auch noch einen kostenlosen Audioguide mit auf die Besichtigung. Also los!
Die Ruine der Abbey ist dann auch wirklich sehenswert in Szene gesetzt und bietet viele, viele Fotogelegenheiten. Und das alles bei mehr als bescheidenem Wetter!
Und einen dieser herrlich angegammelten Friedhöfe mit verblichener Schrift und leicht schräg stehenden Grabsteinen gibt es als Bonus dann auch noch.
Ain‘t no money in Jedburgh
Da es sich langsam, aber sicher einregnet, verlassen wir das Gelände der Abbey und gehen in die Stadt, um endlich Geld zu wechseln.
Am ersten Geldautomaten denke ich noch „Kann ja mal passieren“ als die Meldung kommt, dass er leider außer Betrieb ist. Aber auch an der Royal Bank of Scotland das gleiche Spiel! Und mehr Banken und Geldautomaten scheint es nicht zu geben. Was nun?
In einem kleinen Supermarkt wollen wir uns mit ein paar Dingen versorgen und mit Karte zahlen. Aber auch hier: Bargeldloses Zahlen leider nicht möglich. Und meine Freude über den Geldautomaten im Laden verfliegt recht schnell, als klar wird, dass der einen so ungünstigen Umrechnungskurs verwenden möchte, dass wir am Ende 20€ für die Transaktion bezahlt hätten! Frustriert verlassen wir das eigentlich ganz schnuckelige Jedburgh.
Next Abbey
Auch im nicht weit entfernten Kelso gibt es eine Ruinenabbey. Und einen Parkplatz am Flüsschen Tweed. Hört sich ideal für einen ersten Übernachtungsplatz an! Der Platz ist dann auch wirklich gut. Nur leider das Wetter nicht. Es regnet sich jetzt ziemlich ein, so dass wir nur eine kurze Runde drehen, um Geld zu besorgen (klappt problemlos) und unsere Einkäufe zu erledigen.
Ein gemütliches Sightseeing heben wir uns allerdings dann doch lieber für morgen auf, wenn der Regen hoffentlich etwas heller wird.
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