Das war eine brutale Nacht. Nein, nicht weil wir einen schlechten Stellplatz gewählt haben. Eher wegen der Umstände. Ich habe mir auf der Skulskogen-Wanderung den Rücken verknackst und entsprechend schlecht liegen können. Immer wieder hin und her drehen. Aber Annette ergeht es nicht viel besser, denn der angekündigte Regen ist da. Und prasselt richtig zornig auf das MoMo-Dach. Bei uns triggert das Erinnerungen an Torla und an ruhigen Schlaf ist da nicht zu denken: Wenn es noch etwas intensiver wird, ist das bestimmt Hagel!
Und um das Paket des Schmerzes dann richtig vollzupacken, setzt morgens um 8 Uhr ein völlig schwedenuntypischer reger Autoverkehr ein. Und dazu noch an einem Sonntag! Auto um Auto, Wohnmobil um Wohnmobil fährt an uns vorbei und parkt. Man hört Hunde bellen und sieht deren Besitzer ratlos in Regenkleidung aussteigen. Wie Annette später von einer Teilnehmerin erfährt: Es ist wohl ein Spurensuche-Kurs für Hunde.
Blöde E4
Wir wollen heute deutlich Strecke nach Süden machen. Dafür soll die E4 an der Ostküste ideal sein. So sagt man. Unsere Erfahrung, vor allem auf dem ersten Stück hinter Sundsvall ist eine andere. In der Regel ist sie dreispurig: Es gibt dann 2 Bergauf-Spuren und eine Bergab-Spur. Was im nördlicheren Teil auch wunderbar funktioniert, ist hier, im „Süden“ von Nordschweden eher ein Verkehrshindernis. Ständig wird man verlangsamt, sodass die gefühlte Reisegeschwindigkeit eher bei 60 km/h liegt. Und das ganze bei ordentlichem Verkehr. So viele Autos haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Zwischendurch schmieden wir schon den Plan, auf den ruhigeren Inlandsvägen auszuweichen.
Beschauliches Söderhamn
Das alles zehrt an den Nerven und wir beschließen in Söderhamn eine Pause einzulegen.
Erstaunlicherweise hat sich das Wetter beruhigt und wir finden hier die sonnige Ostküste vor, wo es fast schon schwül ist. Da hätte ich morgens wirklich nicht mit gerechnet.
Das Städtchen ist nett und sonntäglich verschlafen. Am Kanal in der Stadt gehen kaum Leute spazieren und auch die Bahntrasse oberhalb des Kanals ist wenig besucht. Besonders ins Auge sticht die kleine „Godesburg“ oberhalb der Stadt. So ein Mini-Castle wirkt in Schweden fast schon wie ein Fremdkörper.
Das Ring-Dilemma
Auf der Weiterfahrt schlägt dann mal wieder das Glück so richtig zu. Wir erhalten vom Navi eine Warnung, dass wir besser abfahren. Vor uns wird eine Verzögerung von 18 Minuten gemeldet. Da wir eh von der E4 die Schnauze voll haben, fällt uns die Entscheidung gar nicht schwer. Annette findet den verheißungsvoll klingenden Jungfrukustvägen, der praktisch parallel zur E4 verläuft. Wobei eine Jungfrau so eine hässliche Straße eigentlich nicht verdient hat: Eisenbahnlinie und abgeholzte Wäldchen, die eine Steinwüste hinterlassen.
Warum sind wir trotzdem beglückt? Annette hat bei Axmar Bruk einen Stellplatz am Meer gefunden, den wir uns mal ansehen wollen. Dieser ist dann auch erstaunlich groß und gut ausgestattet. Und die Lage an der Bucht ist wirklich malerisch. Ein verlockendes Restaurant gibt es auch noch. Wollen wir hier bleiben?
Wir parken das MoMo erst mal am Straßenrand und erkunden die Lage. Direkt gegenüber weist ein Schild auf eine „Silversmedja“ hin. Könnte das eine Silberschmiede sein? Annette ist ja schmuckmäßig mit dem Silberschmuck in Lappland nicht auf ihre Kosten gekommen, da kein Ring, keine Kette und kein Armband dort „Kauf mich!“ geschrien hat. Vor der schicken rot-schwarzen Scheune sitzt ein älterer Mann und werkelt vor sich hin. Åsa Weissmann ist wirklich Silberschmied und erzählt begeistert von seinem Handwerk. Und mit seinem Schmuck können wir sofort was anfangen. Gefällt uns sehr! Verschmitzt deutet er auf die Scheune und verweist uns an seine Frau: „Da gibt’s noch mehr!“
Es stellt sich heraus, dass die Bläckhornet-Scheune ein kleines Kunsthandwerk-Haus ist, in dem verschiedene Künstler ihre Waren und Bilder den Sommer über ausstellen. Und wir richtig Glück haben, dass heute Sonntag ist, denn an den Sonntagen ist Åsa vor Ort.
Wir sind ganz begeistert von dem, was wir in der Scheune vorfinden und können bei Mitbringseln zuschlagen und finden sogar eine Kunstkarte von einem tollen Gemälde, was dort ausgestellt ist.
Bleibt noch die Auswahl des richtigen Silberschmucks für Annette. Denn die Auswahl an schönen Dingen ist groß und die Entscheidung fällt schwer. Zwischen zwei Ringen kann sich Annette dann wirklich nicht entscheiden und meine große Stunde schlägt: Weihnachtsgeschenk gesichert, Frau glücklich.
Should I stay or should I go?
Während wir in der Scheune sind, hat Toffi mal wieder die Nachbarschaft terrorisiert. Insbesondere unsere „Lieblings“-Sorte Camper, die sich mit ihrem Zeug schonungslos über zwei Stellplätze ausbreiten, trifft es hart. Sie sitzen vor ihrem Womo direkt neben dem MoMo. Bell Bell, Hup Hup. Tja, Karma is a bitch.
Wir sind hin- und hergerissen. Die Lage gefällt uns gut, die Aussicht, im viel gelobten Restaurant zu essen, ist verlockend. Aber der nahezu volle Schotterstellplatz ist nur so mittelgemütlich. Wir bevorzugen es ja eher ruhig und kleiner.
Wir merken uns den Platz aber für die Herbsttour im nächsten Jahr vor.
Ein paar Kilometer weiter gibt es einen viel kleineren Stellplatz an einem Häfchen. Auch dort das gleiche Spiel mit deutschen Wohnmobilisten, die sich mit ihrem Krempel so ausbreiten, dass locker ein Stellplatz verloren geht. Auf solche Nachbarn haben wir keine Lust und fahren auch hier weiter.
Beschaulicher Hafen
Als wir uns danach wieder in den regen Verkehr auf der E4 eingereiht haben, stellen wir fest, dass ein Stellplatz am Meer aber dennoch eine feine Sache wäre. Annette checkt im Womoführer, ob es hier in der Region noch etwas gäbe. Gibt es. Bei Gävle gibt es das kleine Hafenörtchen Bönan, was sich verlockend anhört: Rökeri, Restaurant, kostenloser Stellplatz.
Wir fahren bei dramatisch-schwarzem Abendhimmel und fantastischem Licht in Richtung Meer und sind von Bönan sofort begeistert. Rot-weiße oder gelb-weiße Häuschen reihen sich hier an der Küste auf und eines sieht schnuckeliger als das andere aus. Wir sind nur skeptisch, was den Stellplatz angeht: Da wollen doch sicher alle hin? Stellt sich heraus: Nö. Nur 2 Womos stehen schon dort und für uns ist gut Platz ohne zu kuschelcampen. So wie wir es lieben. Bingo!
Passenderweise fängt es unmittelbar nach unserer Ankunft an zu regnen, sodass wir noch einen Regenbogen geboten bekommen und erst mal im MoMo den köstlichen Röding aus Vilhelmina verspeisen. So viel leckeren Fisch haben wir noch auf keiner Reise genießen dürfen!
Wir besuchen auch die örtliche Rökeri, um Nachschub zu holen, finden aber einen wirklichen Lost Place vor. Alles wirkt uralt und leicht angegammelt. Aber im Kühlschrank findet man frisch portionierten Lachs vor, den man per Kasse des Vertrauens mitnehmen darf. Blöd nur, wie mittlerweile vielerorts in Schweden: Die Kasse ist virtuell und heißt Swish und funktioniert wie Paypal. Aber Swish funktioniert halt nur mit einem schwedischen Bankkonto… Wir lassen also schweren Herzens den Lachs im Kühlregal liegen.
Als wir den Rest der Umgebung erkunden, stellen wir fest, dass wir wirklich genau die richtige Wahl getroffen haben. Dieses absolut entschleunigte schwedische Küstentempo ist genau unser Ding.
Ich muss jedes Mal lachen, wenn Ihr über Toffi schreibt 🙂 Das könnte 1:1 von unserem Kleinen handeln. Man müsste nur den Namen im Bericht austauschen.
Weiterhin eine gute Zeit im Norden und danke für die tollen Reiseberichte!
Kannst du uns denn Hoffnung machen, das es besser wird, Daniela?
Wir haben zwar den Eindruck, dass sie in kleinen Schritten wirklich etwas entspannter wird, aber die Kläfferei ist schon anstrengend…
Ähm … nein *lach*. Unsere beiden Kleinen sind sehr unterschiedlich. Der eine kläfft weil er sehr stürmisch “Hallo” sagen will und der andere, weil er alle von sich fernhalten will. Ein Dilemma, wenn man mit zwei Hunden unterwegs ist. Unser Dackel Olly mag nur Menschen/Hunde, die er kennt und bis er jemanden wirklich kennt, braucht es extrem lange. Unserem Malteser Wilson hingegen, werden wir das Hupen bestimmt nie abgewöhnen können. Da hilft nur Fahrersitz drehen bei jedem Halt, wo die Jungs alleine im WoMo sind. Das Beste ist, entspannt bleiben aber das ist bekanntlich einfacher gesagt als getan 😉