Diesmal werden wir nicht vertrieben. Und unser Weg führt uns erst mal nur ein paar Kilometer weiter. Aber es sind Kilometer, die es in sich haben. Wir fahren nämlich auf die Mautstraße Hillestadheia, die sich nicht mal einen Kilometer entfernt in mehreren Serpentinen die Wand hochschraubt. Für die Bezahlung müssen wir kreativ werden. Denn die 60 Kronen, die man zum Bezahlen in einen Umschlag tut, haben wir nicht klein. Und 200 Kronen fände ich dann doch zu üppig. Zechprellen geht gar nicht, also tun wir 6 Euro in den Briefumschlag und denken, dass das dann auch okay ist.
Höhendorf
Die geschotterte, aber breite Straße lässt sich wunderbar fahren. Und der Ausblick wird schon bald immer toller. Unter uns liegt jetzt das Tovdal und in der Ferne können wir am Talende sogar den Rjukanfossen sehen. Aber das reicht uns noch nicht. Annette hat gestern an der Galleri die Wanderung zum Lindeknuten gefunden, die vom Parkplatz aus gerade mal 2 Stunden hin und zurück dauert. Und der Lindeknuten verspricht einen weiten Ausblick in die Landschaft: Nach Süden bis zum Meer und bei guter Sicht auch den Gaustatoppen, den über 100 Kilometer entfernten größten Berg der Telemark. Und die Sicht heute ist gut, sehr gut.
Wir parken das MoMo am Parkplatz im verlassenen Höhendorf. Es stehen dort jede Menge Ferienhäuser, die aber alle unbewohnt wirken. So richtig was los ist hier anscheinend nur im Winter. Denn Loipen sind mehrere ausgeschildert, auch wenn man jetzt nur ahnen kann, wo sie wirklich langführen.
Gestrüpp, aber anders
Es ist natürlich wieder ein echt norwegischer Weg. Also kein aufgehübschter breiter Weg, sondern es geht wieder querfeldein. Diesmal mit blauer Markierung. Im Gegensatz zur gestrigen Wanderung aber etwas weicher. Es gibt viele sumpfig-nasse Abschnitte, die sich aber immer gut begehen lassen – Wanderschuhe sind trotzdem sehr empfehlenswert.
Es geht stetig, aber recht gleichmäßig bergauf. Und bald können wir auch den Gipfel des Lindeknuten sehen. Er ist klar erkennbar an dem hässlichen Radiosender, den das norwegische Militär dort oben im Kalten Krieg hingebaut hat. Er ist immer noch im Gebrauch.
Viel schöner sind da aber die Aussichten, die sich sonst noch bieten. Die breiten Steinflächen, auf denen sich jetzt im Sommer nur noch ein kleines Rinnsal seinen Weg nach unten ins Tal sucht. Die Seen, die es alle naselang mal wieder gibt.
Wahnsinnsaussicht
Ein letztes Hindernis liegt noch vor uns. Denn auf das Plateau mit der Radiostation und der Rundumaussicht kommt man nur über eine vielleicht 4 Meter hohe Holzleiter. Mit Hund ein kleines Problem. Aber wir haben ja unsere schlaue und Gottseidank nicht so große Elli. Und Annette hat extra noch ein Trekking-Geschirr für sie gekauft, dass einen praktischen Tragegriff am Rücken hat. Und so klettert Elli mit Unterstützung fast schon allein die Treppe hoch.
Was wir dann oben an Aussicht geboten bekommen ist wirklich aller Ehren wert. Denn alles, was uns angekündigt wurde, stimmt. Am südlichen Horizont sehen wir die schnurgerade Linie des Meeres. Nach Westen haben wir einen Blick über das Tovdal. Nach Osten sehen wir das Gjøvdal mit unserem Paradiessee Onevatn. Und im Norden sehen wir Schneefelder und sind uns nicht ganz sicher, ob das auf der Hardangervidda oder schon ein Gletschergebiet ist. Toll ist alles!
Wir lernen auch die Vorzüge des wirklich nicht schönen Radiosenders schätzen. Denn er bietet einen 1a-Windschutz, sodass wir die Sonne und unser Picknick fast in völliger Windstille genießen können.
Was mich wirklich umhaut, ist wieder mal die Tatsache, dass wir einen solchen Topspot nahezu für uns allein haben. Lediglich eine andere norwegische Wanderin hat es sich in einer anderen Windschattenecke gemütlich gemacht.
Wir haben also einem Topaussichtspunkt bei Topbedingungen für uns allein. Und sind völlig perplex, dass es solche Geheimtipps heutzutage immer noch gibt – man muss sie nur finden!
Der Abstieg die Leiter hinunter ist dann noch mal ein Nervenkitzel. Den bergab kann Elli nicht mehr viel mithelfen. Aber Annette nimmt sie auf halber Leiter wie ein Köfferchen von mir in Empfang und bringt das Elli-Paket auch heil hinunter.
Der Weg zurück ist dann fast schon ein Vergnügen. So grob wissen wir, wo wir treten müssen, um nicht zu versumpfen und es wird fast schon zum Sport, in einer flüssigen Bewegung von Stein zu Ast zu Stein zu hüpfen, um nicht in die Mocke zu treten.
Wie geht es weiter?
Wieder am MoMo angekommen, müssen wir uns mal Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Wollen wir hier oben mit dieser tollen Aussicht übernachten? Oder weiter? Und wenn ja, wohin? Wir tun uns ein bisschen schwer, denn wir sind ein bisschen auf den Geschmack gekommen, uns hier im Niemandsland umzuschauen. Die touristischen Hotspots sind natürlich woanders: am Meer oder im Fjordland. Und sie reizen uns ja durchaus. Aber ist es nicht allein schon aus Corona-Gründen gut, wenn wir uns gerade in diesem Jahr auf die einsamen, weniger besuchten Orte einschießen? Wenn man damit so viel Glück hat, wie wir heute: immer her damit!
Redneck-Camping
Wir fahren also weiter auf der Suche nach einem einsamen, schönen Ort, den noch nicht jeder kennt. Der Campingplatz in Dølemo ist es für uns schon mal nicht. Der besteht aus einer Rasenfläche direkt an der RV41. Nicht so urig. Wir fahren weiter und folgen der Verbindungsstraße zur RV42. Ein Träumchen, vorbei an Flüssen und durch Wälder und man ist immer wieder verwundert, wenn dann irgendwann doch ein paar Häuser auftauchen.
Der breiten RV42 folgen wir nicht lange, sondern fahren bald schon wieder ab. Ins Risdal. Dort gibt es einen Campingplatz, der was für uns sein könnte. Und der Weg dorthin fällt vielversprechend aus. Immer wieder kleine Seen. Bergauf, bergab. Landschaftlich hat das hier einfach was.
Als wir von der Straße den Campingplatz sehen, denken wir: Könnte was werden. Aber als wir ankommen, sind wir zunächst etwas verwirrt. Sieht eher wie ein Platz für Dauercamper aus. Unsere Verwirrung sieht man uns offenbar an, denn uns ruft ein Mann vor seiner Campinghütte zu, ob wir Hilfe brauchten. Er ist irgendwie das norwegische Pendant zu einem amerikanischen Redneck: Irgendwas über 50, dicker Bauch, schwarzes T-Shirt mit Spruch drauf, Käppi und coole Sonnenbrille. Als wir uns später auf dem Platz umsehen, stellen wir fest, dass praktisch alle Männer hier so ähnlich aussehen. Ob es da eine norwegische Bezeichnung für solche Typen gibt?
Unser Freund ist auch superhilfsbereit. Er erklärt uns, wo wir uns hinstellen könnten, wo und wie hier ent- und versorgt wird und ruft sogar noch beim Platzbetreiber an, der gerade einkaufen ist. Er erklärt uns außerdem noch, wo man gut hinwandern kann. Wir fühlen uns gut aufgehoben.
Besonders, weil die Lage des Platzes wirklich genial ist. Zu beiden Seiten des Platzes mäandert der Fluss Vatnedalsåna durch schilfumsäumte Ufer. Ein einmaliger Anblick, den wir so woanders auch noch nicht gesehen haben. Was haben wir für ein Glück!
Als bereits langjähriger Leser ihrer tollen Blogbeiträge wird es Zeit endlich einmal DANKE zu sagen.
Danke für die schönen Bilder, danke für die ausgefeilten Texte, danke für die Wissensvermittlung. Ich ahne welch‘ Mühe dahintersteckt.
Weiter tolle Reisen und bitte,nehmen Sie uns weiterhin mit.
Oh, das geht aber runter wie Öl! Oder Øl, wie der Norweger sagt. 🙂
Ist immer toll, so ein Feedback zu kriegen, weil wir ja doch viel in den luftleeren Raum schreiben und der momoblog in erster Linie unser Reisetagebuch ist. Schön, wenn man hört, dass andere da auch was mit anfangen können.
Und falls ihr nicht ohnehin schon Fans seid, empfehle ich hier noch euren Schweizer Landsmann Rolf, der bei https://www.womoblog.ch/ eine ganz ähnliche Einstellung zum Reisen wie wir hat. Bilder, Texte und Infos sind dort auch immer top!
Liebe Grüße, Michael